|
|
Rhythmik
- Trommeln - Musiktherapie |
|
als kreative
Medien in der Förderung von Menschen mit besonderen Bedürfnissen
Referat von Ines Wassermann, Musikpädagogin,
auf der Fachtagung innerhalb des XENOX-Projektes Aufwind / Ohne
Barrieren e.V.
zum Thema "Kreative Medien in der interkulturellen Arbeit mit
Benachteiligten"
am 19. September 2008 in der Küstenmühle Rostock
|
|
Musik als
kommunikatives und Gemeinschaft förderndes Element in allen
Kulturen und Zeitepochen:
Gemeinsam zu singen, zu tanzen und über Instrumente miteinander
zu kommunizieren ist ein menschliches Grundbedürfnis, das auf
allen Kontinenten und in allen Kulturen zu finden ist. Angefangen
beim Wiegenlied für die ganz Kleinen, beim Musikunterricht,
bei traditionellen und modernen Tänzen zu verschiedensten Anlässen,
bis hin zu großen Konzerten aller Stilrichtungen, um nur einige
Beispiele zu nennen, verbindet Musik Menschen im gemeinsamen Tun,
auch wenn es vielleicht kein äußerlich sichtbares Instrumentenspiel
oder Ttanzen, sondern ein Mitlauschen, innerlich Mitschwingen, Klatschen
oder Mitsingen ist.
Anregung zur Selbsterfahrung: Erinnern sie sich an eigene musikalische
Erlebnisse und Vorlieben? Welchen Musikstil bevorzugen sie? Lassen
sie sich innerlich und äußerlich bewegen durch Musik?
Musik im therapeutischen Prozess (körperliche und emotionale
Wirkungen, Vermittlungsebenen in der Therapie):
Besonders stark rhythmische Musik, die von Trommeln und anderen
Perkussions-instrumenten ausgeht, wirkt in Form der Schwingungen
auf den gesamten Körper.
Anregung zur Selbsterfahrung: Nehmen sie die eigene Körperspannung
wahr, erfühlen sie z.B. ihre Arm- und Schultermuskeln mit der
Hand, bewegen sie sich leicht und kommen dann wieder in die Stille,
um sich an eine ihnen sehr angenehme, möglichst rhythmische
Musik zu erinnern. Nehmen sie sich Zeit zum Erinnern und stellen
sie sich dabei auch eigene Bewegungen und Tanz vor. Danach erfühlen
sie wieder ihre Körperspannung und wie wach, munter und emotional
beteiligt sie sich fühlen.
|
|
|
Starke Anspannung
und Überaktivität werden durch die Schwingungswirkung
gelöster und erhalten im angeleiteten aktiven Tun einen geschützten
Raum, um ausagiert zu werden, bis sich der Wunsch nach Ruhe und
Entspannung natürlich und ganz vom Inneren des Menschen her
einstellt.
|
|
|
Gleichermaßen
harmonisierend wirken die Schwingungen auf Menschen mit Antriebslosigkeit,
Kraftlosigkeit und schwachem Muskeltonuns - alle Körperfunktionen
werden durch die Energie der Musik angeregt. Der eigene Körper
wird besser erfühlt. Positive Effekte wie Wachheit, Lebenskraft,
eine gesunde Körperspannung und eine verstärkte emotionale
Beteiligung folgen daraus.
|
|
Auch die Gestimmtheit
der Musik spielt eine Rolle.
Anregung zur Selbsterfahrung: Stellen sie sich vor, ein Lied
in Dur, z.B. "Auf du junger Wandersmann" zu singen und
wie sie sich dabei bewegen möchten. Dann stellen sie sich ein
Lied in Moll, z.B. "O Tannenbaum, du trägst ein grünen
Zweig" und welche Bewegungen diese Melodie in ihnen wachruft.
|
|
|
Klingt Musik
in Dur, fordert sie auf zu Aktivität, sie öffnet die Sinne
nach außen und strahlt Freude aus.
|
|
|
Bei schnellen
Rhythmen in der Dur-Musik wirkt sie auffordernd zu schnellen und
kraftvollen Bewegungen.
|
|
|
Melodien in
Moll wirken nach innen, sie lassen uns in unseren eigenen Körper
hinein spüren und zentrierter werden. Nach innen lauschen,
das heißt auch, den eigenen Gefühlen und sich selber
zugewandt sein. Bewegungen werden sanfter, fließender, zarter
und inniger.
|
|
|
Melodien in
Moll kombiniert im ruhigen Rhythmus führen Menschen in Entspannung.
Aufgeregte Stimmungen und Streitigkeiten können sich allein
durch das Fühlbarwerden der eigene Mitte auflösen. Von
seelischem Gleichgewicht und Zentriertheit aus lassen sich Projektionen
nach außen leichter erkennen und schlichtende Einsichten stellen
sich ein.
|
|
Die Überkreuzung
der Mittellinie beim Trommeln mit beiden Händen stellt bereits
eine Koordinationsleistung für Muskeln, das Nervensystem, Gehirn
und Verknüpfung der beiden Gehirnhälften dar. Hinzu kommt
die asymmetrische Verteilung der Schläge auf rechte und linke
Hand bei traditionellen Rhythmen. Darüber hinaus gibt es unterschiedliche
Anschlagsarten für die verschiedenen Klangfarben und Tonhöhen.
Anregung zur Selbsterfahrung: Erforschen sie mit ihren Händen
auf der Tischplatte unterschiedliche Anschlagsarten. Trommeln sie
mit der flachen Hand, mit den Fingerspitzen, als ob sie etwas vom
Tisch wischen wollen ... Finden sie heraus, ob unterschiedliche
Stellen der Tischplatte, z.B. Mitte und Rand unterschiedliche Tonhöhen
beim Anschlagen erzeugen. Spielen sie asymmetrisch mit der rechten
und linken Hand, z.B. zweimal rechts und dreimal links ...
Der Faszination von Musik und der Freude daran, ein klanglich schönes
Ergebnis gemeinsam mit anderen zu erleben und zu produzieren ist
wohl die erstaunliche Tatsache zu verdanken, dass den hohen koordinativen
Anforderungen oft selbstmotiviert mit außergewöhnlicher
Konzentration und Ausdauer begegnet wird. Dies geschieht nach meiner
Erfahrung gerade bei Menschen, von denen es niemand erwartet hätte.
Kinder und Jugendliche an Förderschulen, Erwachsene mit sozialen
und psychischen Belastungen, Menschen mit geistigen Behinderungen
profitieren ebenso wie die so genannt normalen Menschen von der
motivierenden und harmonisierenden Wirkung von Musik und stellen
sich häufiger spontan und mehr vom Gefühl ausgehend auf
neue Rhythmen ein.
Rhythmik - Trommeln - Musiktherapie beinhaltet neben dem
mehr oder weniger passiven Aufnehmen gehörter Musik und dem
aktiven eigenem Spiel auf Instrumenten auch Bewegung, Tanz und Gesang.
Traditionelle Musik fordert meist zu Aktivität auf, beinhaltet
Rhythmus-Begleitung-Gesang-Tanz als Einheit und animiert die Zuhöhrer
und Zuschauer zum Mitklatschen, Singen, Schunkeln und auch Tanzen.
Die Trennung in aktiv Ausführende und passiv schauend Hörende
hat in diesem Bereich nicht so Fuß gefasst, wie in der Kunstmusik.
Wie lässt sich diese Einheit von Rhythmus-Begleitung-Gesang-Tanz
vermitteln?
Komplexe Rhythmen, Tanzabläufe und Lieder werden über
Nachahmung, Körpererfahrung und Nutzung von anschaulichen Bildern
in kleinen Lernschritten vermittelt:
|
|
|
Der kontinuierliche
Grundpuls von Musik wird über die Beobachtung des eigenen Herz-
und Atemrhythmus, über Gehen und Schwingen der Arme körperlich
erfahrbar.
|
|
|
Trommelrhythmen
mit den verschiedenen Anschlagsarten lassen sich kleinschrittig
und mit Vorstellung und Körpergefühl arbeitend auf verschiedenen
Einzelebenen erlernen, z.B. Sprechen in Silben, klatschen, mit den
Füßen stampfen, mit den Händen in die Luft trommeln,
einzelne Anschlagstechniken üben, bevor die komplexe Umsetzung
auf der Trommel erfolgt.
|
|
|
Tanzbewegungen,
die zunächst schwierig erscheinen, wenn Hände und Füße
unterschiedliche Dinge tun sollen, werden leicht nachvollziehbar
durch gute Vorstellungsbilder, z.B. kreuze das rechte Bein vor das
linke Bein und umgekehrt, behalte dies fortlaufend bei und mit der
rechten Hand stelle dir vor, du schneidest hohes Gras mit einer
Sichel.
|
|
Koordination
und Zusammenspiel zwischen rechter und linker Gehirnhälfte
ebenso wie zwischen rechter und linker Körperseite werden trainiert.
Konzentration, Ausdauer, Merkfähigkeit, Kreativität und
Phantasie schulen sich und nützen allen späteren Lernprozessen
auch.
Schaffung sozialer Lernräume:
Ein sehr wichtiger Aspekt bleibt noch zu beschreiben, das kommunikative
Potential gemeinschaftlichen Musizierens. Hier werden vielfältige
Abstimmungsprozesse zwischen den Mitwirkenden notwendig.
|
|
|
Die Musik-Therapie-Stunde
wird zu einem sozialen Lernraum, soziale Interaktionen finden statt.
Fruchtbare Auseinandersetzungen stärken die Persönlichkeit,
das Selbstvertrauen, das Einfühlungs- und Kommunikationsvermögen.
|
|
|
Musik ist
oftmals Ausdruck von Lebensfreude, guter Gemeinschaft und Zugehörigkeit.
Sie kann auch helfen belastende Lebenserfahrungen und starke Gefühle
von Trauer, Einsamkeit, Wut und Hoffnungslosigkeit zu überwinden.
|
|
|
Verständnis
und Empathie für andere, vielleicht bisher fremde Lebenswelten
und Menschen kann sich entwickeln, wenn weitergehende Fragen gestellt
und beantwortet werden, wie z.B. Wo und wie leben die Menschen,
deren Tänze, Lieder und Rhythmen wir gerade lernen? Wie lebten
sie früher? Wie leben sie heute? Was bedeuten die einzelnen
Tanzschritte? Was wollen die Liedtexte aussagen? Leben Menschen
aus diesem Kulturkreis auch in unserer Stadt? Wie leben sie hier
bei uns? Läßt sich ein direktes Gespräch organisieren?
Welche Fragen würdet ihr stellen?
|
|
Basisfähigkeiten
für erfolgreiches Lernen werden trainiert:
Neben dem wichtigen Einüben sozialer kommunikativer Fähigkeiten
innerhalb der eigenen Gruppe, was auch die Fähigkeit zur Einfühlung
in die Vorstellungen und Wünsche Anderer beinhaltet, werden
auch Empathie und Toleranz für den Fernbereich einer anderen
Kultur/ Musikkultur entwickelt. Im günstigsten Fall findet
ein direkter Austausch mit einem hier lebenden Gast aus einem anderen
Kulturkreis statt, der die fremde Welt nahe bringt, Berührungsängste
abbaut und auch Gemeinsamkeiten finden lässt.
Rhythmik - Trommeln - Musiktherapie trainiert darüber
hinaus Basisfähigkeiten für erfolgreiches Lernen wie Koordination
Kopf-Hand, Koordination und Gleichgewicht, Fein- und Grobmotorik,
spielerisches Erfassen komplexer Abläufe, Merkfähigkeit,
Konzentration, Leise- und Laut- Sein im richtigen Moment, Regulation
von Körperspannung, fließende Bewegungen ... Diese Liste
ließe sich noch lange fortsetzen.
Speziell bei Lese- und Rechtschreibschwäche:
|
|
|
Die Verknüpfung
beider Gehirnhalften wird stimuliert und die Kopf-Hand-Koordination
in fließende Bewegung gebracht.
|
|
|
Durch ein
verbessertes Rhythmusgefühl und gestärktes Selbstvertrauen
kann sich auch der Lesefluss und die innere Motivation, Schwierigkeiten
selbstaktiv zu begegnen, signifikant verbessern.
|
|
|
Die notwendige
Hand-Hand Koordination beim Trommeln fördert Fähigkeiten,
die ebenso für eine fließend koordinierte Schreibbewegung
gebraucht werden.
|
|
|
Das räumliche
Vorstellungsvermögen wird durch die körperlich erfahrenen
Raumwege beim Anschlag hoher und tiefer Trommeltöne und auch
bei den Tanzbewegungen trainiert. Trommelschläge und Tanzbewegungen
erfolgen linear einer/eine nach dem anderen/der anderen und unterstützen
die Ausbildung von Gehirnstrukturen, die es ermöglichen die
lineare Abfolge der Buchstaben beim Lesen zu erfassen.
|
|
Speziell
bei Mathematikschwäche:
|
|
|
Die Ausbildung
neuer Verzweigungen in rechter und linker Gehirnhälfte und
neuer Verknüpfungen beider Gehirnhälften wirkt sich auch
hier förderlich aus, da erwiesenermaßen die drei Zentren
für Mathematik in beiden Gehirnhälften verteilt sind und
diese von den mehr zur Verfügung stehenden Verzweigungen und
Verknüpfungen auch profitieren.
|
|
|
Die körperliche
Erfahrung von Raumwegen unterstüzt und fördert die geometrische
Vorstellungskraft.
|
|
|